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Helene Reis, geboren am 13.8.1886, wurde als Tochter von Gottfried Reis (Jahrgang 1850) und seiner Frau Rosa, geborene Pollatschek (Jahrgang 1857), geboren.

Gottfried Reis erzeugte und handelte mit Branntwein, betrieb unter dem Firmennamen „Pollatschek und Reis“ den Kleinverschleiß in unverschlossenen Gefäßen und mit Rohprodukten am Stadtplatz 26 (heute Buchhandlung Ennsthaler).

Haus Stadtplatz 26 (Museum der Stadt Steyr, Repro: Peter Kainrath)

Nebenan (Nr. 28) befand sich das Einkehrgasthaus „Zum weißen Lamm“, wo Gottfried Reis das Gast- und Schankgewerbe besaß. Er verkaufte das Haus jedoch 1901 an seine Pächter. Gottfried Reis war ab 1894 einige Jahre Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde und von 1901-1911 auch im k.k. Stadtschulrat vertreten.
1894 erwarb er das Gebäude in der Gleinkergasse 18.

Haus Gleinkergasse 18 – ganz links (Steyrer Stadtarchiv)

Nach seinem Tod 1930 im 80. Lebensjahr – die Mutter war bereits 1908 verstorben – erbte seine Tochter Helene Haus und Geschäft und führte die Branntweinerzeugung und den Spirituosenhandel weiter. Schon ihr Großvater Eduard Pollatschek, der 1878 verstorben war, hatte Branntweinbrennerei und -handel am Wieserfeldplatz betrieben.1 Auch Helene Reis war in den 1930er Jahren aktiv in der Israelitischen Kultusgemeinde tätig. So wurde sie im Juli 1933 in den Beirat gewählt und übernahm ab Oktober 1933 die Kassaführung, später ihre Schwester Hedwig Mayer. In den Protokollen scheinen die Schwestern von Helene Reis, nämlich Luise Kohn und Mayer Hedwig, als Beitragszahlende für die Kultusgemeinde ab Ende des Jahres 1933 auf.

Helene Reis nahm auch an der allerletzten Sitzung der jüdischen Kultusgemeinde vom 27. Juni 1938 teil. Schon zehn Tage vorher war die Auflösung der Steyrer Kultusgemeinde und die Vereinigung mit der Linzer Kultusgemeinde angesichts der großen Auswanderungswelle beschlossen worden.2

Bereits am 19. April 1938 hatte die Gestapo Linz bei Helene Reis eine Hausdurchsuchung durchgeführt und Sparbücher, Aktien und Bargeld beschlagnahmt. Dem eingesetzten kommissarischen Leiter Oskar Mösenbacher, ebenfalls ein Spirituosenhändler, wurde von den NS-Behörden vorgeworfen, das Geschäft aus Konkurrenzgründen vernichten zu wollen. So wurde Wilhelm Pfefferl als kommissarischer Leiter bestellt. Mit 1. Juli 1938 wurde das Vermögen der Helene Reis als volks- und staatfeindlich zugunsten des Landes Österreich rückwirkend zum 1. Mai 1938 eingezogen.

Grundbuch KG-Steyr 1880 ff., Verfügung der Gestapo Linz, 15.7.1938

Im Oktober 1938 wurde die Firma mit Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle ohne Aktiva und Passiva an „Theodor Purkhart, Spirituosen- und Likör-Erzeugung, Essig- und Teegroßhandlung“ verkauft. Zur Abwicklung des restlichen Firmenvermögens wurde Max Hamann bestellt. Purkhart inserierte die Erwerbung im November 1938 als „arische Übernahme“ in der Lokalpresse.

Steyrer Heimatblatt Nr. 11, 13.11.1938, 16

Im November 1939 kaufte Purkhart auch das Gebäude weit unter dem Schätzwert.3

Helene Reis ging – vermutlich mit ihren Schwestern Luise Kohn und Hedwig Mayer – nach Wien und nahm sich mit ihnen gemeinsam am 15.Jänner 1942 das Leben.

Margarete Uprimny berichtet vom Begräbnis in ihrem letzten Brief vom 25.1.1942 an eine befreundete Steyrerin:

Und gestern haben wir, es ist so entsetzlich davon zu schreiben, Helene Reis, Frau Kohn und die dritte Schwester, Frau Mayer, begraben. Sie haben es also ausgeführt, was sie schon immer tun wollten. […] Mir sträubt sich die Feder, wenn ich Ihnen schildern soll, wie traurig das Begräbnis war. 4

1949, vier Jahre nach Kriegsende, wurde das Haus im Zuge eines Rückstellungsverfahrens an die Schwester von Helene Reis, Josefine Spitz, und ihre Nichte Rosa Tropano zurückgestellt.5

Seit dem 24. Mai 2023 wird mit einem „Stolperstein“ an Helene Reis vor ihrem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus, Gleinkergasse 18, erinnert.

©Waltraud Neuhauser-Pfeiffer

1 Neuhauser-Pfeiffer, Waltraud – Ramsmaier, Karl: Vergessene Spuren. Die Geschichte der Juden in Steyr (Grünbach 1998) 36, 60, 85, 134f., 243

2 Zentralarchiv für die Geschichte des jüdischen Volkes, Jerusalem, Protokollbücher der israelitischen Kultusgemeinde Steyr, 1914-1938, Protokolle: 9.7.1933, 25.9.1933, 17.12.1933, 17.6.1938, 27.6.1938

3 Vgl. Neuhauser-Pfeiffer – Ramsmaier: Vergessene Spuren 134f.; Ellmauer, Daniela – John, Michael – Thumser, Regina: „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission 17/1, Wien – München 2004) 490

4 Zit. in: Neuhauser-Pfeiffer – Ramsmaier: Vergessene Spuren 176

5 Ebd. 134-136

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