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Anna Herzenberger wurde am 30. Dezember 1897 in Steyr als Anna Legat geboren. Mit ihrem um drei Jahre jüngeren Mann Franz lebte sie in einer Dachgeschosswohnung in der Wehrgrabengasse 31 in Steyr mit den drei Kindern Karl, Hermine und Walter. Der älteste Sohn Karl war Annas Sohn aus einer früheren Beziehung. Die Ehe von Anna und Franz dürfte nicht glücklich gewesen sein. Ihr Tochter Hermine erinnerte sich später daran, dass ihre Eltern oft stritten und vor allem der älteste Bruder Karl die Sorge für die jüngeren Geschwister übernahm. Ein Grund für die Streitereien war wahrscheinlich auch die schwierige soziale Lage der Familie. Steyr war in den 1920ern und frühen 1930er Jahren eine von Armut und Auswanderung geprägte Stadt, mit hoher Arbeitslosigkeit, worunter vor allem Arbeiterfamilien und ihre Kinder litten.

Ärztliche Untersuchungen stellten in den 1920er Jahren bei mehr als 50% aller Kinder Unterernährungserscheinungen fest. Die Kleinkinder der Familie spürten diese schwierige Situation. Statt in einem richtigen Bett, schliefen sie in einer Lade und die Tochter erinnerte sich später daran, wie hungrig sie immer war. Über den schulischen oder beruflichen Werdegang von Anna Herzenberger ist aktuell wenig bekannt. In der erhalten gebliebenen Krankenakte ist ihr Beruf wechselweise mit „Hilfsarbeiterin“, „Waffenfabriksarbeitersgattin“, Fabriksarbeitersgattin“ und „Hausierersgattin“ angegeben. Ein Hinweis darauf, dass auch der Ehemann öfters die Arbeit wechselte bzw. wechseln musste.

1931, im selben Jahr, in dem die Stadt Steyr aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage Konkurs anmeldete, wurde Anna Herzenberger auch zum ersten Mal in die Pflegeanstalt Niedernhart eingewiesen. Kurzfristig wurde sie aus der Pflegeanstalt entlassen und kam wieder zurück zu ihrer Familie nach Steyr. Nach erneuten Einweisungen sollte sie von 1932 an bis zu ihrem Tod dauerhaft in der Psychiatrie bleiben.

Die Kinder der Familie blieben allerdings nicht beim Vater, sondern wurden im Waisenhaus untergebracht. Die Tochter kam zu mehreren Pflegefamilien, wo sie teilweise sehr schlecht behandelt wurde. Sie wünschte sich immer, ihre leibliche Mutter in der Pflegeanstalt Niedernhart besuchen zu dürfen, was ihr der Vater verwehrte.

In der Krankenakte sind tatsächlich nur wenige Besuche vermerkt. Anna Herzenberger wurde sehr unregelmäßig von ihrem Mann, ihrer Mutter und auch mindestens einmal von ihrem ältesten Sohn besucht. Die letzten eineinhalb Lebensjahre erhielt Anna Herzenberger gar keinen Besuch mehr von ihrer Familie.

Die Krankenakte endet mit dem Vermerk, dass sie am 18. Juni 1940 nach Brandenburg verlegt worden war. Tatsächlich hatte man sie in das nur wenige Kilometer von Niedernhart entfernte Schloss Hartheim in Alkoven gebracht, wo von Mai 1940 weg Menschen aus Pflegeanstalten durch Gas im Rahmen der „Aktion T4“ als im Auge der Nationalsozialisten „lebensunwertes Leben“ ermordet wurden. Die Familien täuschte man bewusst. Im August 1940 erhielt Franz Herzenberger die Nachricht, dass Anna Herzenberger in der Heilanstalt Grafeneck an „Lungentuberkulose“ gestorben sei. Im Schreiben stand ebenso, dass die Kleidung seiner Frau an der Desinfektion gelitten habe und sie deswegen gespendet worden sei. Weitere Erinnerungsstücke gab es nicht, aber er könne sich die Urne an einen Friedhof in der Nähe zuschicken lassen. Ob Franz Herzenberger das tat, ist unklar. Die Kinder, die zu dieser Zeit bei der Marine oder beim Reichsarbeitsdienst waren, erfuhren vom Tod der Mutter, aber nicht von den genauen Umständen. Sowohl Grafeneck als auch Brandenburg waren genau wie Hartheim Tötungsanstalten in der „Aktion T4“. Indem man den Familien mitteilte, dass die Angehörigen von einer in die andere Anstalt verlegt worden waren und die Todesnachricht aus weit entfernten Orten kamen, versuchte man, die Familien möglichst zu täuschen. Gerüchte darüber, dass der NS-Staat die Insassen von Pflegeanstalten ermorden ließ, wurden bald zu einem offenen Geheimnis, vor allem weil die Todesorte wie Grafeneck, Brandenburg und andere immer wieder gehäuft auftauchten.

Der Ehemann Franz Herzenberger starb 1965 und auch die drei Kinder hatten den Zweiten Weltkrieg überlebt. Alle drei gingen gänzlich unterschiedliche Wege. Karl wanderte nach Kanada aus, Hermine heiratete einen amerikanischen Soldaten und zog mit ihm in die USA, während Walter als einziger in Österreich blieb. Obwohl der jüngste Sohn Walter seine Mutter kaum kennengelernt hatte, forschte er dennoch dem Schicksal seiner Mutter nach und versuchte Licht ins Dunkel zu bringen. In der Nachkriegszeit erfuhren die Kinder, dass der Tod der Mutter kein natürlicher gewesen war. Es war ein gewaltsamer Tod, geplant und ausgeführt vom NS-Staat und willfährigen Ausführenden. Walter Herzenberger schloss sich als Privatbeteiligter dem Prozess gegen einen der Hauptorganisatoren der Morde, Dr. Werner Heyde, an und unterstützte das Verfahren, indem er der Staatsanwaltschaft Unterlagen zum Tod der Mutter zukommen ließ. Er erkundigte sich in den folgenden Jahren immer wieder zum Stand und Ausgang des Verfahrens und dem weiteren Schicksal der Angeklagten. Tatsächlich nahm sich Dr. Werner Heyde wenige Tage vor Prozessbeginn – er wurde wegen 100.000-fachen Mordes angeklagt – das Leben. In seiner Abschiedsnachricht schrieb er: „Ich habe nichts Böses gewollt, soweit ich dies als Mensch zu beurteilen vermag.“

Erst im Jahr 2000 erfuhren die Kinder, dass ihre Mutter nicht in Grafeneck, sondern in Hartheim ermordet worden war. 2005 besuchten Hermine und Walter die neu geschaffene Gedenkstätte und brachten dort eine Gedenktafel für ihre Mutter an.

Ihre Tochter schrieb später in ihren Lebenserinnerungen: „To this day, I believe that if my mother had the right kind of support system and love she could have been cured.” (Bis heute bin ich davon überzeugt, dass meine Mutter hätte geheilt werden können, wenn sie die richtige Art von Unterstützung und Liebe bekommen hätte.)

Die umfangreiche Nachkommenschaft von Anna Herzenberger lebt heute in Österreich, USA und Kanada und steht in engem und gutem Austausch. Während, oft aus Scham, viele Familien von „Euthanasie“-Opfern nicht über den Tod der Familienmitglieder sprachen, war die Erinnerung an Anna Herzenberger im Familienkreis immer präsent.

Vom 11. Juni 2024 an wird nun auch in ihrer Heimatstadt Steyr durch einen Stolperstein an sie erinnert, vor dem Haus, wo sie mit ihren Kindern gewohnt hat.

©Martin Hagmayr

Quellen:

  • „If Trees Could Talk: The Life Story of Mia Matteo” – Die schriftlichen Erinnerungen der Tochter von Anna Herzenberger
  • Krankenakte von Anna Herzenberger
  • Unterlagen aus dem Stadtarchiv Steyr
  • Dokumente und Informationen – zur Verfügung gestellt von den Nachfahren aus Österreich und den USA

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